Eine Kirche, die mit dem Herzen hört
von Pfarrer Michael Janßen
Hören. Zuhören. Aufeinander hören. Wie großartig sind Menschen, die hören können. Wie wohltuend sind Menschen, die zuhören können, wenn man ihnen das Herz ausschüttet. Wie befreiend ist es, wenn Menschen richtig aufeinander hören. Auch Gehorsam hat aus meiner Sicht nichts mit blindem Gehorsam zu tun; Gehorsam heißt aufeinander horchen, aufein-ander hören.
Bei diesen Gedanken fällt mir Salomo aus dem Alten Testament ein. Er darf sich von Gott etwas wünschen. Und er stellt bei Gott keine Besitzansprüche oder dergleichen mehr. Er bittet Gott, richtig hören zu können, um weise zu regieren und gerecht zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Salomo geht noch einen Schritt weiter. Er verbindet das Hören der Ohren mit dem Herzen, wenn er Gott bittet: „Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz!“ (1Kön 3,5.7-12) Salomo möchte ein hörender, ein aufmerksamer, ein offener Mensch sein. Alles, wofür er verantwortlich ist, soll ihn mitten ins Herz treffen und feinfühlig machen, will er sich zu Herzen nehmen, soll den Umweg über sein Herz machen.
Das wünsche ich mir von unserer Kirche – ein hören-des Herz, eine Kirche mit einem hörenden Herzen! Das Wort Kirche, aus der griechischen Sprache kommend, bedeutet übersetzt „alle, die zum Herrn gehören“. Und nun Gedanken aus meiner Sicht und meinen seelsorglichen Erfahrungen:
Eine Kirche, die mit dem Herzen hört, spürt, dass Jesus Christus, das Evangelium, unsere wunderbare christ-liche Botschaft mit den christlichen Werten aktueller sind denn je. Die Menschen haben eine große Sehn-sucht nach sinnvollem und sinnerfülltem Leben. Ich erlebe das immer wieder in vielen seelsorglichen Gesprächen mit jungen und älteren Menschen, besonders auch im Rahmen der Sakramentenpastoral.
Eine Kirche, die mit dem Herzen hört, nimmt wahr, dass wir mit dem aktuellen weltweiten synodalen Weg zur erneuten in die Tiefe gehenden Erneuerung unserer Kirche auf dem richtigen Weg sind – auf der Grundlage der Heiligen Schrift, der Tradition, mit dem Hören auf die Zeichen der Zeit und den Glaubenssinn des Volkes Gottes, um die Menschen in ihren heutigen Lebenssituationen abzuholen und auf das einzugehen zu können, was sie heute bewegt („aggiornamento“, „Verheutigung“ der Kirche von Papst Johannes XXIII., Vater des II. Vatikanischen Ökumenischen Konzils). Dabei darf die Kirche der Welt nicht einfach angepasst werden (das will die Welt auch gar nicht), aber sie muss in sie eingepasst werden.
Eine Kirche, die mit dem Herzen hört, begreift, dass die Verkündigung des Evangeliums die Aufgabe aller Getauften und Gefirmten ist, um die frohe Botschaft nahe am Leben der Menschen zu verkünden.
Eine Kirche, die mit dem Herzen hört, erlebt, wie wohltuend segensreich Segensfeiern für wiederverheiratet Geschiedene sind oder Segensfeiern für alle Paare, die sich lieben. Vielfältig Denkende und Fühlende gehören zur Gemeinschaft unserer Kirche. Auch das traditionelle Bild von Familie muss zum einen gepflegt, gefördert und aufrechterhalten werden, aber das traditionelle Bild von Familie muss auch erweitert werden.
Eine Kirche, die mit dem Herzen hört, orientiert sich an den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft und den Entwicklungen in der Kultur, ausgedrückt durch einen lernbereiten Dialog.
Eine Kirche, die mit dem Herzen hört, spürt, dass sie noch ökumenischer werden muss. Interkonfessionelle und interreligiöse Gespräche müssen, in die Tiefe gehend, gepflegt werden.
Eine Kirche, die mit dem Herzen hört, sieht, dass der Acker, der Boden unserer Kirche so richtig umgepflügt, bearbeitet werden muss, damit er den neuen Samen aufnehmen kann, der an zahlreichen Stellen schon segensreich gesät wird. Also nicht Abbruch-stimmung, sondern Aufbruchstimmung ist angesagt!
Und das ist eine Kirche, die sich wie die Emmaus-jünger auf den Weg macht mit dem Auferstandenen in ihrer Mitte, der selbst als Fragender, als Hörender und aus der Heiligen Schrift Erklärender mit ihnen geht. Eine Kirche, die fühlt, dass der Geist Gottes weht, wann und wie und wo er will; wir müssen ihm nur auch eine Landefläche bieten! Eine Kirche mit einem hörenden Herzen als pilgerndes Gottesvolk auf dem Weg ins Himmlische Jerusalem, der Vollendung des Menschen und der ganzen Schöpfung in der unendlichen Ewigkeit unseres Gottes.
Da fällt mir beim Schreiben noch eine ältere Dame ein, die sich selbst und ihren Mitmenschen ein sehr enges Denken in verschiedener Hinsicht abverlangt hat.
Doch je älter sie wurde, wurde auch ihr Denken offener, weiter und großzügiger. Und sie stellte fest, dass sie zwar dieses eingeengte Denken in jüngeren Jahren hatte, es sich aber nie richtig angefühlt hat. Vielleicht ist auch das eine Folge vom Hören mit dem Herzen – es fühlt sich alles richtig an.
Nach diesen Gedanken möchte ich gerne, wie der junge Salomo, mit Ihnen zusammen beten: „Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz!“ Wie wohltuend anders sähe es wohl in unserer Kirche und insgesamt auf unserer Mutter Erde aus, wenn das alle Menschen hätten – ein hörendes Herz!
Herzliche Grüße und Segenswünsche!
Ihr
Michael Janßen, Pfarrer